Neuroathletik-Training für Gehirn und Nerven

Training für Gehirn und Nerven – so könnte man Neuroathletiktraining in Kurzform beschreiben. Worum es sich genau handelt, haben wir Malte Hartmann gefragt. Er ist Sportwissenschaftler und „Neuro-based Sports Performance and Rehab Coach“. Er arbeitet hauptsächlich mit Profisportler:innen, verrät uns im Interview aber auch, wie „normale“ Tennisspieler:innen profitieren können.

DTB: Malte, kannst Du uns zunächst einmal sagen, was Neuroathletiktraining ist?

Man könnte es als eine Weiterentwicklung des klassischen Athletiktrainings beschreiben. Wir stellen das Gehirn in den Mittelpunkt des Trainings und bereiten damit die Athleten:innen auf die neuronalen Anforderungen der verschiedenen Sportarten und Bewegungen vor. Diese sind logischerweise sehr unterschiedlich zwischen den Sportarten und der Ausgangspunkt der Athten:innen auch innerhalb einer Sportart sehr individuell. Es geht also weg von den „One Fits All - Lösungen“. Das Ziel ist es, durch sensorisches Training und spezifische Hirnaktivierungs-Drills die Bewegungsqualität zu optimieren. Wir können dadurch immer wiederkehrende Probleme und Schmerzen beheben, individuelle Leistungsplateaus überwinden und das beeinflussbare Leistungspotential bestmöglichst ausschöpfen. 

DTB: Ab welcher Alters- und Leistungsstufe kann Neuro-Training integriert werden – oder ist das nur etwas für Profisportler:innen?

Theoretisch kann das Neuro Training ab jeder Alters- und Leistungsstufe integriert werden. Jede:r profitiert von einem individuell ausbalancierten Nervensystem. Gleichzeitig sollte einem aber bewusst sein, dass das Neuro Training, von dem wir sprechen, ein spezifisches und individuell gesteuertes Training zur Optimierung der Bewegungsqualität ist. Das sollte möglichst täglich durchgeführt werden. Diesen Ansporn haben vor allem Hochleistungssportler:innen, die auf der Jagd sind, sich ständig zu verbessern und Wege suchen, um möglichst verletzungsfrei ihre Karriere zu gestalten. Beides kann ein richtig durchgeführtes Neuro Training bereitstellen. 

Sind Spieler:innen aus niedrigeren Alters- und Leistungsstufen aber motiviert, im Detail zu arbeiten, ist es für sie natürlich ebenfalls ein großer Gewinn. Gleichzeitig bin ich der Meinung, dass hier ein allgemeineres, aber auch forderndes Training mit komplexen Bewegungsaufgaben sehr gut funktioniert. Spaß und Vielseitigkeit sollten hier im Vordergrund stehen. 

DTB: Welche Tests könnte ich als Trainer:in anwenden um zu erkennen, ob bei meinen Spieler:innen Defizite/Potentiale zu erkennen sind, die mit Neuro Training verbessert werden können?

Ich arbeite seit einigen Jahren fast ausschließlich mit Hochleistungssportlern:innen. Aus neuronaler Sicht habe ich noch nie keine Defizite und somit sehr viel verborgenes Potential gesehen. Daher braucht es hier keine Tests, um dies im Allgemeinen herauszufinden. Trotzdem führen wir spezifische neuronale Test durch, um genau herauszufinden, warum z.B. eine Vorhand nicht so funktioniert, wie es von Trainer und Spieler erwartet wird.

DTB: Wie könnte dieser Test aussehen?

Einen simplen spezifischen Test für die Tiefenwahrnehmung – die ist wichtig im Tennis für die exakte Lokalisation des Tennisballs und somit für einen sauberen Treffpunkt – sieht so aus: Halte einen Daumen nah vor deine Augen und den anderen Daumen eine Armlänge entfernt dahinter. Wenn du den vorderen Daumen anvisierst, solltest du diesen einmal sehen und den hinteren zweimal – genauso andersherum, wenn du den hinteren Daumen anvisierst. Tritt hier ein Fehler auf, sollte man dringend an der Tiefenwahrnehmung arbeiten. Wenn kein Fehler auftritt, kann man es trotzdem als neuronale Voraktivierung, z.B. in der Vorhandposition, testen. Es kann die Qualität der Vorhand verbessern. Hierzu wechselst du einfach zwischen den zwei Daumen 15-20x in der Vorhandposition hin und her und fokussierst dich immer darauf, den einen einmal zu sehen und den anderen zweimal. Am besten hält hier der Trainer zwei Finger oder Stifte vor den Spieler, anstatt die eigenen Daumen zu benutzen.

Direkt danach werden wieder ein paar Bälle mit der Vorhand geschlagen, um zu schauen, ob es den gewünschten positiven Effekt gebracht hat. Manchmal dauert es ein paar Schläge (je nach Leistungsniveau), bis sich das System eingestellt hat. Erst dann tritt eine Verbesserung ein. 

Malte war Referent bei der DTB A-Trainer:innen Fortbildung im Juli 2022 am Hamburger Rothenbaum. Sein rund einstündiger Vortrag „Neuro Training im Tennis“ ist ab sofort hier im Trainerportal (hinter dem Login) einzusehen .

 

„Neuroathletik bzw. Neuroathletiktraining (Neuro Athletic Training) bezeichnet eine Weiterentwicklung des klassischen Athletiktrainings, indem Gehirn und das Nervensystem als zentrale Elemente der Bewegungssteuerung in das Training miteinbezogen werden. Es geht dabei um die Weiterentwicklung des biomechanisch gesteuerten und definierten Athletiktrainings durch Komponenten der Bewegungssteuerung durch das Nervensystem. (Stangl, 2022).“ 
Stangl, W. (2022, 10. August).  Neuroathletik . Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik.
https://lexikon.stangl.eu/26692/neuroathletik-2.

Foto: ©Witters